Die technischen Geräte navigieren den Caddy zielsicher entlang schneeweißer Hausfassaden und durch schmale Gassen zum Hostal „Las Magaritas“. Allerdings bemerken wir schnell, dass die Parkmöglichkeiten herausfordernd sind. Und so kreisen wir viele Minuten um das Hostal in auswegloser Parkplatzsuche. Als wir zum sechsten Mal am „Las Magaritas“ vorbei rollen, passiert das Wunder: Ein Kleintransporter direkt vor dem Eingang setzt den Blinker und gibt eine solide Parklücke frei. Wir können den Caddy also in perfekter Lage abstellen! Manchmal muss man eben Glück haben. Wir packen die nötigsten Dinge zusammen, die wir für die Nacht benötigen und quetschen uns durch den schmalen Eingang des „Las Magaritas“. Wir betätigen eine Klingel am spärlich eingerichteten Tresen und kurz darauf kommt ein kleiner, älterer Mann angewackelt und begrüßt uns herzlich mit einem langezogenen „¡Hola!“. Die spontane Online-Buchung scheint funktioniert zu haben, jedenfalls weiß der Mann sofort Bescheid, als wir unsern Namen sagen. Er fragt unvermittelt: „You are here by car? What abaut parking?” Wir erklären, dass wir direkt vor der Tür stehen. Der Mann wackelt ungläubig zur Tür und blickt auf die Straße. Er deutet auf unseren Caddy und fragt überrascht „The white car?“ Als wir ihm dies bestätigen kommt er zurück gewackelt, klopft uns lachend auf die Schulter und sagt: „That was verry good luck for you, amigos!“ Wir sind ja auch zufrieden.
Kurze Zeit später hat er uns Karten für das Zimmer ausgehändigt und wir schleppen unsere Taschen durch ein schmales Treppenhaus in den 3. Stock. Das Zimmer verfügt über ein Doppelbett und zwei weitere Betten, die sich aus einem Schrank hervor klappen lassen. Dazu ein Kühlschrank, ein Duschbad und viele Steckdosen um unsere mobilen Technik-Geräte mit frischer Akkuladung zu versorgen. Wir, verweilen kurz, machen uns frisch und entschließen uns dann, dieses Tarifa mal unter die Lupe zu nehmen. Als wir das „Magaritas“ verlassen, zeigt die Uhr an einer gegenüberliegenden Apotheke 16:20 Uhr. Die hoch stehende Sonne lässt die weißen Häuser erstrahlen, wir schlendern ziellos die Gasse runter. Kurze Zeit später hat uns die Altstadt von Tarifa mit ihren schmalen, unbefahrenen Straßen verschlungen und wir lassen uns durch die engen Gassen treiben. Bunte kleine Läden, urige Bars und viele Restaurants reihen sich dicht gedrängt aneinander. Wenn die alten, mehrgeschossigen Häuser einen Platz frei geben, ist dieser von Tischen, Stühlen und riesigen Sonnenschirmen zahlreicher Cafés gesäumt. Völlig planlos und ungezwungen betreten wir Läden, bestaunen das Angebot und gehen wieder weiter. In einer bunten Boutique, die farbenprächtige Strand- und Surfmode anbietet, verweilen wir lange. Aus den Boxen an der Decke strömt entspannte spanische Musik auf uns ein. Die SoundHound-App lässt uns nicht im Stich und ermittelt zielsicher das Lied „El aire de la calle“ von Los Delinquentes. Dieses wandert selbstverständlich auf unsere Urlaubsplaylist und wird uns auch in den nächsten Wochen begleiten. Irgendwann spuckt uns die Altstadt unten am Hafen aus ihren Gassen aus. Eine endlose Autokarawane wartet hier darauf, dass sich die Schranke öffnet und die Autofähre befahren werden darf, die von hier aus ans andere Ufer der Straße von Gibraltar in Marokko übersetzt. Unzählige kleine Fischerboote dümpeln hinter einer beachtlichen Kaimauer. Weiterhinten haben beeindruckende Hochgeschwindigkeits-Katamaran-Fähren festgemacht, die die Strecke rüber nach Afrika in wenigen Minuten bewältigen können. Wir schlendern weiter am Hafen entlang. Unzählige Hotels und hochpreisige Restaurants reihen sich nun entlang der Hafenfront auf. Auf einem Felsenhügel rechts von uns, erblicken wir eine imposante Burganlage. Am Ende der Burganlage weitet sich der Blick und die „Isla de Tarifa“ ist zu erkennen. Ein schmaler Damm führt rüber zu der kleinen Insel, die als südlichster Punkt Europas gilt. Als wir den Damm erreichen werden wir überwältigt von unseren Emotionen. Allen, die etwas für Geographie übrig haben, muss es an diesem Ort die Schuhe ausziehen! Der Blick ist mit Worten kaum zu beschreiben. Man sieht hier mit bloßem Auge zwei Weltmeere und zwei Kontinente. Links das Mittelmeer, rechts der Atlantische Ozean. Hier Europa, da drüben am anderen Ufer Afrika! Und auch wenn man es vorher nicht für möglich gehalten hat: Man sieht, wie unterschiedlich die beiden Meere aussehen. Rechts der dunkelblaue, aufgewühlte Atlantik, links das türkise ruhige Mittelmeer. Wie angewurzelt bleiben wir stehen und können es kaum realisieren, was wir da sehen. Es kullern sogar ein paar Tränen, weil das wirklich ein ergreifender Moment ist. Um uns zu sammeln, entschließen wir uns ein Getränk auf der großen Terrasse der „El Chiringuito“ Strandbar zu nehmen. Das „El Chiringuito“ wirbt damit, die südlichste Bar auf dem europäischen Festland zu sein. Ein Grund mehr, hier einzukehren. Wenig später empfiehlt uns der launige Kellner dringend, zwei „Aguardiente de limon andaluz“ zu bestellen und für die Kinder bringt er ein paar Minuten später zwei alkoholfreie Mojito an unseren Tisch und singt dabei. So sitzen wir da und blicken auf die beiden Weltmeere vor unseren Augen. Rechts am Atlantik tut sich ein riesiger breiter Sandstrand auf, an dem sich unzählige Kitesurfer tummeln. Links am Strand hinter dem Damm zur Isla de Tarifa nutzen viele Menschen das seichte Wasser zum Badevergnügen im Mittelmeer. Der „Aguardiente de limon andaluz“ stellt sich als herausragender Drink aus Gin, andalusischem Zitronenlikör und Tonic heraus. Aus den Boxen wummert sanft „Another Love“ von Tom Odell in der langen, bass-untermalten „Zwette Edition“ und wir saugen diese einmaligen Momente und Eindrücke hier unten, am Punkt zwischen den Welten auf. Und um diese Momente noch etwas auszukosten, lassen wir uns vom Bar-Personal noch zu einer zweiten und zu einer dritten Runde überreden. Irgendwann bezahlen wir eine wirklich stattliche Rechnung. Aber wir lassen uns die Laune nicht verderben, man ist ja schließlich nicht alle Tage in der südlichsten Kneipe Europas!
Wir begeben uns nun auf den Damm, der die beiden Weltmeere teilt. An den beiden berühmten Schildern, die auf die zwei Ozeane hinweisen, müssen wir lange warten und uns viele interessante Foto-Sessions für zahlreiche Insta-Stories anschauen, bis wir schließlich selber ein paar Erinnerungsfotos schießen können. Während wir weiter über den Damm schlendern und den Blick über die Meerenge rüber nach Afrika schweifen lassen, kommen unweigerlich gemischte Gefühle auf. Trotz all der Schönheit des Ortes, muss man plötzlich an all die Konflikte denken, die rund um dieses wunderschöne Mittelmeer toben. An den Krieg in Syrien, der seit Jahren am östlichen Ende das Mittelmeeres nicht enden will. An den seit Jahrzehnten nicht endenden und vermutlich auch in Jahrzehnten nicht lösbaren Nahost-Konflikt. An die instabile Lage in Libyen, bei der keiner sagen kann, wohin das Land driftet. An die Inseln Lampedusa oder Lesbos, die sinnbildlich für die großen Fluchtbewegungen der letzten Jahre über das Mittelmeer stehen. Und die Gedanken gehen an die tausenden Menschen, für die das Mittelmeer zur tödlichen Falle auf ihrer verzweifelten Flucht nach Europa wurde. All das ist hier plötzlich sehr nah, sehr präsent. Für uns wäre es ein Leichtes, morgen einen Tagesausflug rüber nach Marokko zu unternehmen. Inklusive Kamel-Safari und Besuch des Bazars von Tanger. Dafür wird hinten am Hafen von Tarifa an zahlreichen Touri-Schaltern immerhin aufdringlich geworben. Für hunderttausende von Menschen, da drüben am anderen Ufer der Straße von Gibraltar, bleibt das Mittelmeer dagegen ein für immer unüberwindbares Hindernis. Und das alles nur, weil sie das Pech hatten, auf der anderen Seite geboren zu sein. All die Widersprüche, all das unfassbare Elend, all die nicht auflösbaren Dilemmas und all die Ungerechtigkeiten unserer Zeit, werden hier unten, an diesem eigentlich so wunderschönen Ort plötzlich sehr greifbar. Dass auch Künstler an diesem Ort von ähnlichen Gedanken überkommen wurden, davon zeugen zahlreiche Statuen, die entlang des Damms zur Isla de Tarifa installiert wurden und die sich allesamt mit dem Thema Flucht über das Mittelmeer befassen.
Mit all den widersprüchlichen Gefühlen im Bauch, laufen wir schließlich langsam zurück. Am Hafen vorbei, wieder in die Altstadt. Die zahlreichen Restaurants öffnen gerade für das Abendgeschäft. Überall auf den Plätzen, werden Tische und Stühle zurecht gerückt, Menü-Karten ausgelegt und Sonnenschirme aufgestellt. Das kommt uns entgegen, denn was zum Abendessen wäre jetzt top! Nur fällt uns die Entscheidung schwer, welches der vielen Restaurant wir ansteuern sollen. Alle sehen irgendwie einladend aus. Soll es eher Pizza sein oder doch Burger? Irgendwann muss eine Entscheidung her und wir setzen uns an einem großen Platz einfach an einen der vielen Tische. Wir sind im „Merkado 27“ gelandet und die Karte gibt für alle was her. Schnell sind Getränke bestellt und auch das Essen lässt nicht lange auf sich warten. Die freundliche Bedienung stellt uns Salat mit karamellisiertem Ziegenkäse, in Bananenblättern gegrillten Fisch und für die Kinder Cheeseburger mit „papas fritas“ auf den Tisch. Der Platz füllt sich immer mehr, die Plätze in den Restaurants sind bald alle besetzt. Viele junge Menschen treffen sich auf den umherliegenden Bänken mit mitgebrachten Getränken, einige packen die Gitarren aus. Wir beobachten das bunte Treiben von unserem Tisch aus. Wir spüren die Müdigkeit nach einem langen Tag. Trotzdem zieht es uns, nachdem wir die Rechnung beglichen haben, nochmal runter zum Atlantik. An einem Kiosk kaufen wir für die Kinder zwei Dosen „Fanta Naranja“ und für uns zwei eiskaltes Dosen Heineken Silver. Als wir am Strand ankommen, ist die Sonne schon einige Zeit untergegangen. Über dem Horizont streckt sich ein breiter orangener Streifen, während sich der blaue Himmel über uns allmählich dunkel einfärbt und die ersten Sterne aufblitzen. Rechts von uns die Silhouette von Bergausläufern, die sanft ins Meer übergehen. Vor uns der breite Sandstrand, der nun fast menschenleer ist. Das Rauschen des Atlantiks ist deutlich zu hören, während ein kühler Wind vom Meer herauf weht. Das erste Mal seit Tagen, müssen wir abends wieder eine Jacke überziehen. Hier ist es nun deutlich frischer als an unseren vorherigen Stationen am Mittelmeer. Wir suchen uns einen Platz auf der Mauer neben der Strandpromenade. Wir sitzen minutenlang wortlos da und staunen erneut über die überwältigende Schönheit dieses bezaubernden Ortes. Auf der Strandpromenade sind noch zahlreiche Inlineskater unterwegs, hinter uns haben ein paar Jungs auf einem durch Flutlicht erleuchteten Beton-Bolzplatz zu kicken begonnen und beweisen dabei eindrucksvolles Ballgefühl. In den zahlreichen Clubs entlang des Strandes steigt der Lärmpegel, zunehmend wummern tanzbare Bässe über den Strand. Irgendwann ist die Dunkelheit komplett da. Jetzt beginnen drüben, am anderen Ufer die Lichter Afrikas hell zu funkeln. Sie scheinen uns magisch anzuziehen, jedenfalls bemerken wir, das Marokko irgendwie zu einem Sehnsuchtsort für uns geworden ist. Da müssen wir unbedingt mal hin und uns die Straße von Gibraltar von der anderen Seite anschauen. Und dort eintauchen, in diese Welt da drüben, die hier so nah ist und wohl doch noch mal ganz anders sein wird. Wir sitzen noch lange da, ehe uns die Müdigkeit zurück ins „Las Magaritas“ zieht.

























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